
Energie, Elan und Eigensinn – das Hochschulorchester der HfM Trossingen im Konzerthaus Trossingen
Viel geboten wurde dem Publikum im fast vollbesetzten Hohner-Konzerthaus in Trossingen am vergangenen Mittwochabend, dem 5. November 2025: Das abwechslungsreiche Programm mit Musik aus vier Jahrhunderten war einmal mehr ein großer Wurf; die unkonventionelle Programmzusammenstellung des Dirigenten Prof. Sebastian Tewinkel konnte restlos überzeugen – ein fast perfektes Konzerterlebnis.
Selten erlebt man ein derart vielgestaltiges Konzertprogramm im Laufe eines Abends: Vom mozärtlichen Fagottkonzert B-Dur aus dem 18. Jahrhundert fließt viel Wasser den Trosselbach hinunter, ehe man in der Musikgeschichte bei der Uraufführung des brandneuen Werks Living in the Material World landet – und damit im Hier und Jetzt. Noch seltener ist es, dass das so eröffnete Panorama mit den beiden dazwischenliegenden Werken (Beethovens beschwingter Achter Sinfonie und Zoltán Kodálys Tänze aus Galánta) als Ganzes erfrischend ›neu‹ klingt, eine charmante Art von unaufhaltsamer Energie und Verve verströmt und so das Publikum von Beginn an zu fesseln weiß.
Die Kunst der Modulation
Der Abend begann mit dem modernsten Stück, Unhyun Kos (Student bei Prof. Sven Daigger an der Trossinger Musikhochschule) Living in the Material World, das inspiriert, effektvoll, jedoch nicht allzu avantgardistisch daherkommt: Dynamische Extreme werden vor allem ins Fortissimo hin ausgelotet, Bezüge zur Musik des klassischen Kanons hergestellt (etwa meinte man den Säbeltanz Chatschaturjans oder Beethovensche Motive neu verarbeitet zu erkennen) und zu einst avantgardistischen Kompositionstechniken wie der Zwölftonmusik der Zweiten Wiener Schule. Zugleich gab es offenkundige Tendenzen zu computergenerierter Klanglichkeit, vor allem aber ein beachtenswertes Gespür für den Umgang mit dem Orchester als modularen und modulierbaren Klangkörper: Klangflächen, die durch dynamische Verläufe aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmbar werden, Harmonien, die
aufgrund von Dynamik mal dissonanter, mal konsonanter ›beleuchtet‹ scheinen, repetitive Motive, die in nicht enden wollender Steigerung Takt um Takt facettenreicher werden … Es ist keine im direkten Sinne ›neue‹ Musik, aber eine enorm vielseitige und verschiedene Klanglichkeiten ergründende ›Studie‹ zu Möglichkeiten der Ausgestaltung von Klangereignissen im Kontext des sinfonischen Orchesters. Alles in allem ein erfreuliches und spannendes Debüt, das vom Hochschulorchester engagiert erarbeitet und musiziert wurde. Hoffentlich wird es künftig weitere Uraufführungen ›made in Trossingen‹ zu erleben geben – hierin liegt die Zukunft!
Die Kunst, humorvoll, aber nicht komisch zu sein
Überraschenderweise folgte auf Ko direkt Beethoven – und damit ein Einblick in eine andere Welt: Beethoven schrieb seine Achte Sinfonie in Zeiten immer schlechter werdender Gesundheit und stark nachlassender Hörfähigkeit. Wie zum Trotz handelt es sich bei der eher knappen Sinfonie aber um fidel-heitere Musik, die stellenweise ruppig-bäuerlich daherkommt und vor allem eines ist: energievoll und, besonders in den Ecksätzen, hochvirtuos.
Mit frischen Tempi und einer Liebe zum akzentuierten, klar definierten, manchmal vielleicht allzu rohen Klang, aber dennoch durchwegs fein ausgearbeiteter Phrasierung erklang ein Beethoven, der gerade die musikantische Seite dieser Musik – die womöglich von böhmischer Musik (Beethoven weilte zur Kur in Böhmen, als die Sinfonie entstand) inspiriert ist – besonders und gewinnbringend betonte. Tewinkel führte das Orchester mit gewohnt klarem, unprätentiösem und pointiertem Dirigat durch die hochvirtuosen Passagen ebenso sicher wie durch lyrischere Momente (die leider im vom Dirigenten eingeforderten Pianissimo öfter nicht mehr gut zusammenspielten) und überzeugte vor allem durch den in Form extremer dynamischer Unterschiede und Überraschungen erklingenden, souverän herausgearbeiteten Humor, den etwa bereits Louis Spohr, ein Zeitgenosse Beethovens, im vierten Satz entdeckt hatte:
Als würde einem der Komponist da mitten im Satz »die Zunge herausstrecken«, so klinge die Musik. Tewinkels und der Musiker:innen Artikulationsorgan blieb indes stets inwendig, wobei die Verständlichkeit überhaupt nicht darunter zu leiden hatte, sondern – ganz im Gegenteil – in den Ohren manch eines Konzertbesuchers etwas »zu viel« von allem kulminierte, sodass man nach den gut 30 Minuten Beethoven’scher Musik wahrhaft bereit war für eine Pause, um sich von den vielen tutti-Watschen (nicht immer waren sie synchron) zu erholen, die die allesamt hochmotiviert spielenden Musiker:innen mit verschmitztem Lächeln verteilt hatten.
Die Kunst, mit dem Instrument zu singen
Nach der Pause erklang dann Mozarts Fagottkonzert in B-Dur, das der Salzburger im zarten Alter von 18 Jahren komponiert und mit diesem Werk erstmals den musikalischen Boden des Bläserkonzerts betreten hatte. Damit trug Mozart nicht unwesentlich zur Emanzipation des einstigen Continuo-Instruments bei, versorgte er das tiefe Doppelrohr doch mit berückend schönen Melodien und Phrasen. Julia Flint (aus der Klasse Fredrik Ekdahls) musizierte die drei Sätze umsichtig, poetisch und an den entsprechenden Stellen virtuos – stets im Einklang mit dem wunderbar begleitenden Orchester. Deutlich wurde vor allem im Mittelsatz, wie kantabel das Fagott doch klingen kann, wie intim die Klangsphäre gestaltet werden kann, wenn fähige und gut geleitete Musiker:innen sich gemeinsam der oft unkompliziert und vielleicht einfach wirkenden Musik Mozarts widmen. Diese ›Mozärtlichkeit‹ ist schwer zu erreichen; den Trossingern gelang dies allerdings bravourös, was der lang anhaltende Beifall für Solistin und Orchester unterstrich.
Die Kunst, in der Musik zu tanzen
Nach diesem kurzen Ausflug in die Musik der Wiener Klassik betrat man abermals eine neue Klangwelt, denn Zoltán Kodálys Tänze aus Galánta sprühen nur so vor ungarischer, urwüchsiger Energie und Lebenslust. Das Werk entstand wie als Reminiszenz an die Kinder- und Jugendjahre Kodálys, der darin zwei bekannte ungarische Tanzformen, lassú und frisska, verarbeitete und mit der mitteleuropäischen Kunstmusik verband. Tewinkels flotte Tempi überzeugten auch hier und spornten das Orchester zu Höchstleistungen an; insbesondere die Bläser überzeugten in hohem Maße, kommen ihnen bei diesem Werk doch tragende Rollen zu. Es war dies sicherlich auch der Höhepunkt des sehr kurzweiligen und rundum gelungenen Konzerts, das vielleicht an manchen Stellen etwas mehr Achtsamkeit im Zusammenspiel vertragen hätte, insgesamt aber einmal mehr beweisen konnte, auf welch hohem Niveau das Orchester der Musikhochschule Trossingen seit vielen Jahren musiziert und dabei immer wieder aufs Neue überraschen und überzeugen kann.
Adrian T. Brenneisen






