Elegie & Esprit – Kammermusik für Streicher bei «vis à vis»

Foto Prof. Muriel Razavi (Viola) und Prof. Alexander Janiczek (Violine)

Studierende musizieren gemeinsam mit Dozenten – Open-Chamber-Format als Erfolgskonzept

Im vollbesetzten Würfelsaal der Volksbank Trossingen erklangen am 9. Oktober 2025 vier sehr verschiedene Werke aus drei Jahrhunderten. Die Ausführenden, allesamt Studierende und Dozenten der Hochschule für Musik Trossingen, bewiesen dabei einerseits, dass das Repertoire für die häufig ein wenig unterrepräsentierte Bratsche wahre Entdeckungen bereithält, andererseits auch, dass die Open-Chamber-Music-Reihe, in welcher die Professoren gemeinsam mit den Studierenden kammermusikalische Werke erarbeiten, ein großer Gewinn ist – für das Publikum ebenso wie für die Musiker:innen.

»Von klein nach groß« war die Devise des überraschend unorthodoxen Konzertprogramms des Abends, was zumindest sinnbildlich gut in den Würfelsaal gepasst hat. Die Übertitelung »Elegie & Esprit« versprach einen ansprechenden Saisonauftakt der erlesenen Kulturreihe »vis à vis« in den Räumlichkeiten der Volksbank, sodass in Stefan Kerns kurzer Begrüßung die Vorfreude auf die kommenden Konzerte deutlich zu hören war. Die Konzerte im Würfel seien jedes Mal »Höhepunkte des städtischen Kulturprogramms«, ein »Fest« für ihn und alle Musikliebhaber:innen gleichermaßen – und ein schöner Beleg für die erfolgreiche Kooperation mit der Trossinger Musikhochschule.

Das Konzert begann mit einer vor allem musikgeschichtlich und weniger kompositorisch relevanten Fuge für Violine und Viola, komponiert von Prinzessin Anna Amalia von Preußen, die ihr Leben ganz der Musik verschrieb und unter anderem die nach ihr benannte berühmte Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar gründete. In der informativen kurzen Werkeinführung, die die Musikerinnen Flavia Beck (Violine) und Melissa Dahmen (Viola) vor ihrem Spiel gaben, wurde deutlich, welch wichtige Rolle Amalia für die Bachforschung einnimmt, da sie auch viele der Werke des Thomaskantors sammelte und zum Eigenstudium zu Rate zog: Ein Umstand, der auch in der sehr geradlinigen Fuge ohrenfällig wurde, erklang doch in manchen Momenten ein regelrecht Bachsches Motiv.

An das Werk der preußischen Prinzessin schloss sich sodann einer der »ersten« Hits der europäischen Musikgeschichte an: John Dowlands »Flow my tears« aus der Zeit des elisabethanischen Englands, das in der Urfassung ein herzzerreißend schönes Lied für Laute und Gesang ist und hier in einer Bearbeitung für drei Bratschen erklang. Nun ist es freilich gewagt, einen solchen »Gassenhauer« in einer Bearbeitung zu spielen, die sich nicht gerade nah am Original bewegt und zudem gänzlich befreit von rhetorisch-luftiger, expressiver Spielweise daherkommt, ja fast schon gleichförmig musiziert wird. Diese Musik ansprechend zu musizieren heißt eben mehr, als auf ausladendes Vibrato zu verzichten. Als Programmpunkt, der die Klangwelt der Bratsche anfänglich erschließen soll, schien das Werk dann aber doch passend, wenn auch weder »Tränen geflossen« sind, noch die klanglich berührende »Dunkelheit« aufgezogen ist, in der man gemeinsam mit dem Sänger-Ich verweilen will, wie es die letzte Passage des Textes nahelegt. Es war ordentlich musizierte Hausmannskost, die die drei Bratschistinnen (Tessa Rippo, Ida Ostini, Melissa Dahmen) da vorlegten – als solche dann wiederum ein guter Aperitif für die beiden folgenden Werke, die zweifelsohne den interessanten Teil des Konzerts ausmachten. In jedem Fall gewann der zweite Konzertteil auch durch die Gegenüberstellung mit den beiden anderen Werken älteren Datums subjektiv an Ausdruck und Expressivität.

Mit Bowen und Mozart in den Abend

Es folgte das äußerst interessante »Fantasie Quartet« op. 41 für vier Bratschen. Der britische Komponist York Bowen, dessen Werke sich klanglich irgendwo zwischen Zemlinsky, Elgar und Schreker bewegen, schuf das Werk als Beitrag für die »Phantasy«-Wettbewerbe des Journalisten und Hobbygeigers William Walter Cobbett, die britische Komponisten dazu ermutigten, längere, fantasievolle Werke zu schreiben, die oft Elemente mehrerer Sätze in einem einzigen zusammenfassen und sich so von der klassischen Satzstruktur voriger Jahrhunderte lösten. Entsprechend kurzweilig und abwechslungsreich präsentierte sich dann auch das Werk, das vom durch Prof. Muriel Razavi komplettierten Quartett ausdrucksstark musiziert wurde. Schön war es zu erleben, wie fein und nuanciert die vier Künstlerinnen musizierenderweise miteinander kommunizierten, sich die Phrasen mal behutsam, mal stürmisch zuspielten und bei aller Spielfreude auch die intimen Momente der Musik Bowens überzeugend ausgestalteten. Sehr deutlich war zu bemerken, dass nun musikalisches Terrain betreten wurde, das einerseits tatsächlich für die Bratsche komponiert wurde (im Gegensatz zu Dowland), andererseits einen inspirierten musikalischen Ausdruckswillen transportierte – von kompositorischer wie auch interpretatorischer Seite. Razavi nahm ihre Studierenden dabei hör- und sichtbar an die Hand, führte mit großer Überzeugung und Raffinesse, gab von den Quartettkolleginnen gerne aufgenommene Impulse in die Runde und brachte so eine ungeheuere Präsenz auf die Bühne, die lediglich von gelegentlich unsauberer Intonation und ungleich gestalteten Phrasen getrübt wurde.Den Schlusspunkt des Abends markierte dann ein Stück des jungen W.A. Mozart, das Quintett in B-Dur KV174, das der Salzburger im Alter von 17 Jahren komponierte. Das Werk markiert einen frühen Höhepunkt seines kammermusikalischen Schaffens und zweifelsohne den Höhepunkt des Abends im Würfelsaal.

Zu den schon bekannten Gesichtern gesellte sich nun noch Carlota Corbella (Cello) und Prof. Alexander Janiczek (Violine), die gemeinsam mit der nun wieder Geige spielenden Flavia Beck und Ida Ostini an der zweiten Bratsche die von Mozart vorgesehene und an Michael Haydn anknüpfende Besetzung von zwei Violinen, zwei Bratschen und einem Cello vervollständigten. Schon die ersten beiden Sätze heben sich deutlich von den frühen Streichquartetten ab, sowohl im Umfang als auch im musikalischen Gewicht. Besonders im Allegro moderato werden italienische Operneindrücke hörbar: Kantable, von der Opera seria inspirierte Melodiebögen wechseln mit konzertantem Gestus und chromatischen Einschüben ab, was die Musiker:innen allesamt spritzig-lässig, an den entsprechenden Stellen bisweilen auch mit einiger Wucht gestalteten. Die Dialoge zwischen den Stimmen, insbesondere zwischen erster Geige und erster Bratsche, waren äußerst wachsam gestaltet, die vom hochmusikalisch gespielten Cello beigesteuerten tiefen Töne – das erstmals an diesem Abend erklang! – eine Wohltat für das Ohr.
Im Adagio entfaltete sich ein inniger, gesanglicher Dialog (abermals überzeugend: Janiczek und Razavi), wobei die gedämpften Streicher dabei eine schwebende, verschattete Klangwelt aufziehen ließen. Hervorzuheben ist die feine Ausgestaltung der völlig anderen Klangsphäre, die Leichtigkeit in den Phrasen; schade, dass hier stellenweise unterschiedliche Bögen empfunden wurden und manch eine Melodie so ausfranzte, statt gemeinsam zu einem Abschluss geführt zu werden.

Das Finale schließlich, ein schmissiger Satz mit tänzerischem Schwung, kontrapunktischer Ausgestaltung und konzertierender Brillanz machte große Freude: Die nötige rustikale, fast bäuerliche Spielweise, die der hohen Virtuosität aller Instrumentalist:innen keinen Abbruch tat (ganz im Gegenteil!), war eine Freude für Auge und Ohr: Da wurde sich zugelächelt, intensiv Kontakt aufgenommen und auch mal mit großer Geste in den Raum gezeichnet, was musikalisch erklang. Zum Ende des Konzerts schienen die Musiker:innen dann also »daheim« angekommen, sorgten für Wohlklang allenthalben und nahmen den langen Applaus gerne entgegen, der für dieses erste Konzert nach der langen Sommerpause absolut verdient war.

– Adrian T. Brenneisen

 

Was ist »vis à vis«?

Klangkunst im Würfel

Die musikalische Reihe »vis à vis« entstand 2008 als eine Kooperation der Volksbank Trossingen mit der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen. Die vier Veranstaltungen im Jahr werden von Studierenden und/oder Professoren gestaltet.
Mittlerweile begeistert die Reihe die Besucher mit außergewöhnlichen musikalischen Leckerbissen ganz unterschiedlicher Art. Die gut besuchten, meist ausverkauften Konzerte im einzigartigen Ambiente des Würfelsaals sprechen für sich.

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