Mit Louis XIV. durch den klingenden Pomeranzengarten… Bericht vom Abschlusskonzert des Meisterkurses mit Tobie Miller (Basel)

Bei sommerlichen Temperaturen erklangen am Sonntag, 22. Juni um 16 Uhr teils ungewohnte Töne aus einer anderen Zeit: Das Konzert Les plaisirs präsentierte Werke aus dem Umfeld des französischen Sonnenkönigs in verschiedenen Besetzungen und zeigte dabei die große stilistische Bandbreite des französischen Hochbarocks. Dem gelungenen Konzert vorausgegangen war ein dreitägiger Meisterkurs mit Tobie Miller, der renommierten Spezialistin für barocke Drehleier.

Die Vielle à Roue im Fokus

Für das Publikum in der vollbesetzten Kleinen Aula der Musikhochschule eröffneten sich im Laufe des einstündigen Konzertprogramms verschiedene Klangwelten, die von klassischer Duo und Trioliteratur des französischen 18. Jahrhunderts für Soloinstrumente mit Basso Continuo bis zu zumindest aus heutiger Sicht – ungewohnten Klängen der barocken Drehleier, wiederum in verschiedenen Ensemblekonstellationen, reichte. Letzteres ist das Spezialgebiet der aus Basel angereisten Tobie Miller, die sich in den letzten Jahrzehnten weltweit für das Instrument eingesetzt hat. Die Vielle à Roue erlebte im 18. Jahrhundert in Frankreich einen tiefgreifenden Wandel: Sie wurde für die höfische Kammermusik adaptiert, erhielt lautenähnliche Bauformen sowie technische Merkmale, die bis heute prägend sind. Ab dem 19. Jahrhundert wurde sie vor allem in dörflichen Musiktraditionen verwendet, wobei sich regionale Varianten entwickelten. Heute ist die Drehleier in Teilen Europas fest verwurzelt – insbesondere in Frankreich, Spanien und Ungarn – und erlebt eine europaweite Renaissance, die ihre historische Bedeutung sogar übertrifft, nicht zuletzt dank Musiker:innen wie Tobie Miller.

Scharfe Klänge, Süße Klänge

Das Programm begann mit Auszügen einer pittoresken Suite für Traverso von Jacques Hotteterre, wunderbar musiziert von Chen Shen, deren Flötenspiel vor allem in der lyrischen Sarabande Spielfreude, Klangdifferenz und geschmackvolle Phrasierung bewies. Im darauf folgenden Stück Arion des französischen Sous-Maître de la Chapelle Royale, André Campra durchflutete französische Leichtigkeit die Reihen der Kleinen Aula. Hier trat die Sopranistin Janne Munkwitz hinzu, deren meist klare Diktion und differenzierte Gestaltung der abwechslungsreichen «Mini-Oper» viel Esprit verlieh – das Werk verarbeitet den Stoff des antiken Arion, der durch die Macht der Musik sein vorzeitiges Ableben verhindern konnte auf charmante und kurzweilige Art. Die rasch aufeinanderfolgenden verschiedenen Sätze demonstrierten das galante Wechselspiel von Rezitativ und Ariette, wobei insbesondere die Dialogstrukturen zwischen Traverso und Gesang zu überzeugen wussten.

Nun erklang erstmals die Drehleier, gespielt von Ron Höllein, der gemeinsam mit Alina Hahner (Barockvioline) ein für die beiden Instrumente von Monsieur Ravet komponiertes Duo musizierte. Mit dem Instrument änderte sich auch die Klangsprache und Harmonik der Musik, die bei den vorherigen Stücken noch «gewohnt barock» gewesen war: Die Drehleier verfügt über permament mitklingende Bordunsaiten, die, ähnlich wie bei der Sackpfeife, ein ständiges harmonisches Fundament erzeugen. Naturgemäß ist es nur schwer möglich, sich von diesem Grundton allzu weit zu entfernen, was eine gewisse harmonische Beschränkung mit sich zieht. Zugleich erklingt neben den perlenden Läufen und obertonreichen Borduntönen gelegentlich auch ein vom Interpreten beabsichtigtes Schnarren, das durch den am Instrument befestigten Schnarrsteg erzeugt werden kann und Teil der musikalischen Ausdrucksmittel ist, die dem eher wenig dynamischen und drum überraschend expressiven Instrument zu eigen sind. Hahners Violinspiel stellte eine den überzeugenden Gesamteindruck vervollständigende Komponente dar: Die beiden Instrumentalist:innen kommunizierten mit sichtbarer Spielfreude, sodass sich die Ohren des Publikums der interessanten Musik schnell öffnen konnten.

Historische Aufführungspraxis hautnah erleben

In den folgenden Stücken gaben sich weitere Mitwirkende die Klinke in die Hand: Neben den beiden virtuos spielenden Traversflötistinnen Caroline Weber und Haesong Seo sangen Felipe Dias de Oliveira und Ben Reuter Lieder von Jugendfreuden, Liebesschmerz und -tod: Den Höhepunkt des Programms bildete die La jeunesse, eine Cantatille – also eine Kantate in Miniaturform – von Jean-Baptiste Dupuits.

In dessen groß besetztem Werk wurde deutlich, wie bereichernd sich die Vielle de Roue gerade im kammermusikalischen Kontext einsetzen lässt. Ihre raue, zugleich charmante Klangfarbe verlieh dem Stück eine bemerkenswerte Tiefe – getragen vom geschmackvollen Spiel Hölleins. Ben Reuter wiederum erfüllte die Cantatille mit leichter und wohltönender Stimme und stilgerechten Verzierungen. Alle Mitwirkenden zeigten ein profundes stilistisches Verständnis dieser floriden Musik, die erst durch tiefgreifende Beschäftigung überzeugend zum Leben erweckt werden kann. Ein großes Lob gilt an dieser Stelle auch den durchwegs inspiriert spielenden Cembalist:innen (Alexandru Simó, Lorenzo Rupil, Basia Adamczyk und Manami Suzuki): Sie gestalteten die teils nur als Bassstimme überlieferten Continuo-Partien überzeugend mit klanglicher Klarheit und Fantasie – tragende Säule für das horizonterweiternde und, der Sommerhitze trotzend, erfrischende Konzert.

Start für Kulturprojekt

Das Konzert markierte zugleich den Auftakt einer neuen Kooperation zwischen der Diakonie Schwenningen und der Hochschule im Rahmen des Projekts Integration vor Ort – Starke Frauen durch Empowerment. Dem Anspruch folgend, «als Hochschule die hier stattfindende Kultur gerade auch in die unmittelbare Region zu tragen», wie Prorektorin Linde Brunmayr-Tutz betonte, lud die Musikhochschule geflüchtete Frauen ein, den Nachmittag in Trossingen zu verbringen. Neben dem Konzert standen eine Instrumentenvorstellung und ein Rundgang auf dem Programm – ein Angebot, das zum Austausch über Kultur, regionale Institutionen und Partizipationsmöglichkeiten anregen sollte. Susanne Wolf, Mitarbeiterin im Veranstaltungsbüro und Kulturvermittlerin, betonte: «Es geht um niederschwellige Kulturvermittlung – ein zentraler Auftrag öffentlicher Kultureinrichtungen.» Brunmayr-Tutz hob die während des Rahmenprogramms deutlich gewordenen Parallelen zwischen unterschiedlichen Kulturen hervor. Musik – so zeigte sich – verbindet Menschen, ohne vieler Worte zu bedürfen. Ein Brückenschlag, der geflüchteten Frauen Raum zur Begegnung bietet – und zugleich unsere Kultur durch ihre Perspektiven bereichert.

– Adrian T. Brenneisen

 

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